Beim Stöbern entdeckte ich einen Zeitungsausschnitt aus der Frankfurter Allgemeinen vom 29.09.1999. Anlässlich zum 50-jährigen Bestehens der Fuchs-Briefe verfasste der nicht unbekannte Heinz Brestel einen Artikel für die Festschrift.
Vom Brief zum
Dienst – Kleine Historie der "Privatinformationen"
Für den großen Bertelsmann-Verlag eine "feine Nebensache“ / Von Heinz Brestel
Der
Chef des Bertelsmann-Konzerns,
Thomas Middelhoff, kündigte zum 50. Bestehen der Fuchs-Briefe
in Berlin an, der Strukturwandel auf dem Zeitungs-
und Zeitschriftenmarkt -
hin zu elektronischen Medien -
werde auch die" Privatinformationen" nicht unberührt lassen.
Bertelsmann investiert in die Branche weiter. Der Konzern glaubt, dass das
Produkt" Privatinformationen" auch in verändertem Gewand über das
Internet weiterhin seine publizistische Bedeutung behalten werde. Scherzhaft
werden die Informationsdienste in Deutschland heute als die" Maseratis im
Verlagsgeschäft" bezeichnet: exklusiv, teuer, kleiner Umsatz, großer
Nutzen. Dies trifft wohl den Kern, auch für die in der Branche führenden
Bertelsmann-Produkte.
Der folgende Beitrag ist der Auszug eines Textes über eine" Kleine
Geschichte der Privatbriefe" von Heinz Brestel aus der Festschrift zum
Fuchs-Brief-Jubiläum.
Die
Geschichte von Briefen und ihrer Schreiber an ausgewählte Adressen lässt sich
zweitausend Jahre zurückverfolgen. Pontius Pilatus schrieb bereits zu Jesu
Zeiten kontinuierlich als Prokurator "Briefe aus Judäa" nach Rom.
Empfänger waren die Senatoren in der Hauptstadt. Zuweilen erreichten die Briefe
direkt den Kaiser. Pontius Pilatus war ein exzellenter Prognostiker, der die
damaligen geistigen und gesellschaftlichen Umwälzungen seiner Zeit frühzeitig
erkannte, was für die Adressaten in Rom von großer Wichtigkeit war. Eine
Sammlung seiner Briefe nach Rom liegt jetzt auch in Buchform in deutscher
Sprache vor. Pilatus' berühmte Frage "Was ist Wahrheit?" hängt heute
noch symbolisch über den Köpfen prognostizierender Zeitgenossen.
Die
wohl größte Informations-Brief-Auflage aller Zeiten erreichte ein anderer
Autor, als Saulus geboren, der seine Briefe an die jungen christlichen Gemeinden
mit "Paulus" zeichnete. Es waren die RömerBriefe,
die Korinther-Brief
und der GalataBrief, zusammengefasst
in einem Sammelband mit Namen - "Neues Testament". Paulus bekam das
Briefeschreiben schlecht. Er wurde umgebracht. Auch Pontius Pilatus starb keines
natürlichen Todes.
Der
Vater der modernen Informationsbriefe im deutschsprachigen Raum war der 1861
geborene Felix Ernst Witkowski, der sich Maximilian Harden nannte. Woche für
Woche schrieb er einen Brief im Umfang von manchmal 50 Seiten als
"Alleinunterhalter" für Abonnenten. Da damals eine schnelle Vervielfältigung
nur mit Hilfe der Druckerpresse möglich war, gab Harden jede Woche dem Berliner
Verlag Georg Stilke seine Manuskripte, die in Nachtschicht eiligst gedruckt und
versandt wurden. Eine unglaubliche physische Leistung.
Hardens
Wochenbriefe wurden erstmals 1892 geschrieben. Sie trugen den Titel Die
Zukunft. Harden ahnte damals schon das Ende der alten bürgerlichen
Gesellschaft und des Kaiserreichs. "Die Zukunft" lebte von einem großen
Feind, von Kaiser Wilhelm 11. den er "im Abonnement" angriff.
Dabei verschaffte er sich vorsorglich Rückendeckung beim alternden Bismarck,
der freilich schon kurz nach Gründung der "Zukunft" starb. Glanzpunkt
dieser Briefkarriere war der Riesenskandal, den Harden mit der
"Zukunft" auslöste. Er bezichtigte Philipp Fürst zu Eulenburg,
Freund des Kaisers Wilhelm, "der Neigung zur Homosexualität". Das
bekam Harden schlecht, er wurde eine Weile nach Posen verbannt. Die Bedeutung
Hardens erlosch nach dem Ersten Weltkrieg.
Von
Harden ließ sich ein anderer berühmter Briefautor in Wien inspirieren: Karl
Kraus, 1874 geboren und rechtzeitig noch 1936 gestorben, bevor ihn die Nazis
greifen konnten. Kraus gab Wochenbriefe unter dem Namen Die Fackel heraus. Sie erschienen auch in gedruckter Form und geißelten
die damaligen Missstände in Politik und Gesellschaft. Kraus war ein Satiriker
von hohem Rang. Mit ihm ging die klassische Periode der Briefeschreiber zu Ende.
In den dreißiger Jahren gab es niemanden mehr, der Harden und Kraus auch nur im
Entferntesten das Wasser reichen konnte. Nach 1933 wurde mit unzensierten
Briefeschreibern nicht lange gefackelt. Aber Joseph Goebbels, der eine feine
Nase für die Wirksamkeit von Briefen an ein ausgewähltes Publikum hatte,
tolerierte einige vervielfältigte Zirkulare, um deutschen Unternehmern manches
zu sagen, was in den zensierten Zeitungen nicht zu lesen stand.
Nach
dem Zweiten Weltkrieg entstand eine neue „Briefkultur". Die Schreiber
nutzten die Tatsache aus, dass zunächst Zeitungen und Zeitschriften von Rang
noch rar waren. Diese Lücke füllten die Briefe aus. Drei Persönlichkeiten
waren es hauptsächlich, die sich als Briefeschreiber schnell einen Namen
machten.
Der
erste war Curt L. Schmitt in Detmold, der gleich nach dem Krieg Vertrauliche
Informationen herauszugeben begann. Schmitt baute nach und nach ein kleines
Informationsimperium auf, das später in andere Hände überging. Der Autor und
Verleger starb 1961.
Der
zweite potente Briefeschreiber war Dr. Robert Platow. Er war vor 1945
Wirtschaftskorrespondent der "Magdeburger Zeitung" in Berlin gewesen
und verfügte über immense Personalkenntnisse. Seine Platow-Briefe, nach 1945 in Hamburg herausgegeben, fielen dem ersten
Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, auf die Nerven. Als Platow
vertrauliche Dokumente über eine Steuerreform zu publizieren wagte, wurde er
vorübergehend eingesperrt. Der Bundestag beschloss die "Lex Platow",
welche bis heute auch die Informationsfreiheit für Briefe sichert. Platow zog
sich in den siebziger Jahren in die Schweiz zurück und starb dort 1983.
Der
Dritte im Bunde war Dr. Hans Fuchs, der heute noch im hohen Alter am Genfer See
lebt. Er setzte frühzeitig "auf Bonn" als provisorische Hauptstadt
und versorgte seine Abonnenten mit Hintergrundmaterial aus der Regierungs- und
Parlamentsarbeit.
Indessen
lebte die alte Streitkultur der Brief-Publizisten nicht wieder auf. Die
Informationsbriefe wandelten sich im Laufe der Jahrzehnte "zum
Dienst", zu Informationsmedien, geschrieben und redigiert von ganzen
Fachredaktionen. Zu den Redakteuren der Fuchs-Briefe gehörte übrigens vorübergehend
auch der spätere Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl.
Beide,
Platow-Brief und Fuchs-Brief, gingen in den siebziger Jahren schließlich in die
Hände des Bertelsmann-Verlags über. Die Kaufpreise, die Bertelsmann zahlte,
hat der Verlag wohl nicht bereut.
Quelle:
Frankfurter Allgemeine, Mi-29.09.1999