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Edward Yardeni

Zauberlehrling der New Economy

Seine Bühne ist die Wall Street. Der New-Yorker Chefökonom der Deutschen Bank inszeniert seine Auftritte wie kein zweiter in der Finanzwelt. Ob Dow Jones oder Internethandel: Edward Yardenis Prognosen sind kühn und treten meist ein. Nicht einmal die Blamage um die Fehleinschätzung des Jahr-2000-Problems hat seinem Ruf geschadet.

www.yardeni.com Die Prophezeiung des Edward (Ed) Yardeni zeigte Wirkung. Als befände er sich in einem Kreuzzug, beschwor Yardeni die weltweite Rezession herauf. Computer würden versagen, Aufzüge stehen bleiben, Bankautomaten ausfallen und Börsensysteme durchdrehen. Die befürchteten Probleme der Datenumstellung zur Jahrtausendwende (Y2K) wurden weltweit in einem Atemzug mit Edward Yardeni genannt. Schließlich ist der Chefvolkswirt der Deutschen Bank Securities in New York nicht irgendwer.

Als dann zur Jahrtausendwende außer Böllern und Raketen nichts weiter explodierte, war die größte Blamage im Leben des Ed Yardeni perfekt. "Ich habe über meinem Privaten Kreuzzug einfach die Distanz zu dem Thema verloren", räumt er offen ein.

Was für andere WallStreetimpresarios das Ende der schillernden Karriere bedeutet hätte, hinterließ bei dem 50-Jährigen nur oberflächliche Kratzer. Anstatt über ihn herzufallen, hob ihn die amerikanische Business Week" direkt wieder auf den Schild: "Seine düsteren Voraussagen, was alles hätte passieren können, haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass man diese schwierige, potenziell desaströse Situation gemeistert hat." Lediglich eine als Scherzartikel gedachte Sprühdose mit Gift gegen den Jahrtausend-Computerkäufer (Y2K-Bug) auf seinem Schreibtisch erinnert Yardeni täglich an den Wirbel um nichts, den er auslösen half,

Der Rummel hat Methode. Yardeni, dem der Wunsch nach einer Karriere als Schauspieler mangels Talent - wie er selber sagt - versagt blieb, inszeniert seit Jahren seine Auftritte in der Finanzwelt wie kein Zweiter. Die Wall Street ist seine große Bühne. "Warum soll ich den Leuten etwas erzählen, was sie eh schon wissen? Ich will begeistern", erklärt Yardeni seinen Hang zur Selbstdarstellung. "Börse und Wirtschaft sind nichts weiter als eine einzige Seifenoper."

Untypisch seine Wortwahl und ebenso unorthodox seine Ansätze. Damit hat er eine große und treue Anhängerschar um sich versammelt - und übt so gewaltigen Einfluss aus. Auf seine Einschätzungen hören institutionelle Kunden der Deutschen Bank, vor allem große Fonds.

Bis auf die Y2K-Prophezeiung lag er mit seinen kühnen Prognosen richtig. Ausgerechnet nach dem größten Börsendesaster der Nachkriegsgeschichte, im Oktober 1987, rief er zur Überraschung des Establishments die Bullenzeit aus und verkündete, der Dow Jones werde in fünf Jahren auf 5000 Punkte klettern. Zwar nahm sich der Index ein wenig mehr Zeit doch als der Dow 1995 die 5000er Linie knackte, sagte Yardeni eine weitere Verdoppelung auf 10000 Punkte bis zur Jahrtausendwende voraus.

Dabei war "Doctor Ed" - wie ihn seine Anhänger nennen - zu Beginn seiner Karriere an der Wall Street alles andere als bullish. Der in Israel geborene Yardeni stieß sich seine Hörner während der Stagflation unter Präsident Jimmy Carter ab. Carter und sein Notenbankchef Paul Volcker bekämpften die galoppierende Inflation zu Beginn der Achtziger mit einer extrem restriktiven Geldpolitik.

Yardeni - noch unter dem Eindruck seiner Universitätsausbildung - war überzeugt vom Kondratieff-Theorem, das 50- bis 60-jährige Konjunkturzyklen zu erklären sucht, und befürchtete 1981 eine Rezession ungekannten Ausmaßes. Der 31jährige Ed war derart vom nahendem Crash überzeugt, dass er sein Haus in Scarsdale eilig verkaufte, um mit seiner Familie in einer Manhattaner Mietswohnung zu leben, bis der "Nebel der Depression" sich gelichtet haben würde.

Der befürchtete Abschwung trat nicht ein. Erst ein Jahr später war Yardeni geläutert, warf Kondratieff samt seinem Theorem in die Tonne und schloss sich der Bullen-Stimmung an den boomenden Aktien- und Rentenmärkten an. Doch erst vier Jahre später, 1986, kaufte er sich auch wieder ein eigenes Haus auf Long Island und verpasste eine fünfjährige Rally bei Grundstücks- und Hauspreisen. Inzwischen sieht er die Sache humorvoll: "Vielleicht ist dies Beleg genug, dass Volkswirte zwar gute Strategen abgeben, aber bei eigenen Anlageentscheidungen oft daneben liegen. Wir nehmen uns manchmal viel zu ernst," sagt Yardeni mit einein Augenzwinkern.

Mittlerweile ist Yardeni zum Verfechter der New Economy geworden. "Die neue Wirtschaft überrumpelt die Inflation. Hand in Hand machen Wettbewerb und Innovation dem Preisgespenst endlich Beine", sagt er. Für Dave Kansas, Vorstandschef und Chefredakteur von Thestreet.com, ist Yardeni der Vater der New Ecomomy: "Yardeni hat mit seinem Eintreten für die New Economy die Blockade in vielen Köpfen der Finanzszene gelöst." Darauf angesprochen, reagiert Yardeni ungewohnt bescheiden: "Das wäre vermessen. Der wahre Vater der New Economy ist Adam Smith, der 1776 in seinem Buch 'Wohlstand der Nationen' die Entwicklung weitgehend voraussagte. Ich bin im besten Fall sein Zauberlehrling."

Im Internet sieht er den Grund für den ungeheuren Aufschwung, den Amerika seit nunmehr einer Dekade erlebt. Auch wenn er derzeit auf die Euphoriebremse tritt. "Ich glaube, wir haben den Unterschied zwischen Alter und Neuer Wirtschaft überbewertet. Natürlich gibt es eine neue und eine alte Wirtschaft, aber es ist keine Berliner Mauer dazwischen."

Der Erfolg und sein ausgefeiltes Talent zur Selbstinszenierung haben ihm viele Gegner gemacht. Die werfen ihm oft Beliebigkeit vor. Manche nennen ihn "Ready Eddie" -in Anspielung auf die ständige Medienpräsenz Yardenis, der stets mit einer Aussage und einem Zitat zur Stelle ist.

Eitel ist er. Die Aufmerksamkeit der Presse schmeichelt ihm. Geziert von seinem Konterfei, stehen die Titelseiten von "Barron's", "Money" und "La Tribune" fein säuberlich auf dem Bücherregal aufgereiht. Kritik wurmt ihn nicht: "Schlimmer wäre die Nichtbeachtung - Kritik zeigt mir nur, dass ich mit meinen Aussagen den Kern treffe", sagt Yardeni. Und während er schmunzelt, sind die Emotionen des Chefökonomen spürbar.

In solchen Momenten spricht Yardeni mit leicht hebräischem Akzent. Im Alter von sieben Jahren kam er zusammen mit seinem Bruder und seinen Eltern aus Haifa in Israel in die USA - und wuchs inmitten des Silicon Valley auf. Sein Vater war Ingenieur bei IBM. Englisch lernte er aus dem Fernsehen. "Vor allem durch ,RinTinTin' und TVShows", sagt er und lacht. "Vielleicht stammt daher auch mein Drang ins Showbiz."

An der Elite-Universität Yale in New Haven studierte Yardeni Volkswirtschaft und schloss 1976 mit der Doktorwürde ab. Doktorvater und Mentor war der spätere Nobelpreisträger James Tobin. Obwohl der liberale Yardeni sich ökonomisch mittlerweile von dem staatsgläubigen Tobin abgrenzt, führt er eines auf seinen alten Professor zurück: "Tobin lehrte mich, stets um die Ecke zu denken und Dinge aus der Distanz zu beobachten." jene Distanz, die ihm bei seiner Y2K-Mania abhanden gekommen war.

An der Wall Street hat er gelernt, dass mit bloßer Theorie kein Staat zu machen ist. Er hat miterlebt, wie sein langjähriges Vorbild, der ehemalige Salomon-Brothers-Chefökonom Henry Kaufman, mit seinem Dogmatismus scheiterte. Zu lange beharrte er in seiner "Dr. Doom"Position - und "beging damit beruflich de facto Selbstmord", wie Yardeni mittlerweile selbst urteilt.

Mit reiner Ökonomie haben seine Analysen nichts mehr zu tun. Damit ließen sich die komplexen Strategieplanungen auch gar nicht meistern, sagt Yardeni: "Ich habe einen interdisziplinären Job." Denn der Mensch handelt bei weitem nicht so rational, wie ihn der Ökonom so gerne beschreibt. "Im Grunde werden wir noch immer von unseren grundlegenden Emotionen getrieben. In der Wirtschaft sind das Gier und Angst. Gerade hatten wir eine Phase der unersättlichen Gier, die die Aktienkurse nach oben getrieben hat. Und jetzt können wir beobachten, wie die Angst die Märkte im Griff hat."

Ist Pessimismus angesagt? Keine Spur davon: "Die technologische Revolution wird noch stärker voranschreiten als bisher. Die Börsen werden vom zunehmenden Alter der Babyboomer profitieren, und ich sehe einen Siegeszug der Demokratie durch die freien Märkte und das Internet."

Sven Scheffler

Quelle: Net-Business, 09.10.00

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